Ich bin von der Bühne abgetreten

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Ich bin von der Bühne abgetreten

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Veröffentlicht von Helmut G. Müller in Pfarrer in Wachenbuchen · 13 November 2010
Ein letzter großer Auftritt. Die letzten Verbeugungen und dann ist der Vorhang gefallen. Es war ein wunderbarer Abend. Soviel gelacht wurde selten, so viel Freude bei allem Volk. Ein letztes Mal habe ich den korrekten Beamten mit Herz gespielt. Ein letztes Mal nach durchzechter Nacht das Lob der Vergänglichkeit feucht fröhlich besungen: "Es geht alles vorüber es geht alles vorbei "- und mich schon mal auf ein neues Leben eingestellt. Zugabe genehmigt. Der Kollektenhut war am Ende gut gefüllt. Dann noch die Abschiedsrede zum Publikum kurz vor Mitternacht im überfüllten Raum, als „Beauftragter für die Kommunikation des Evangeliums in Wachenbuchen“  bis mich Mitspieler Stefan unterbricht: „Wir wollen noch feiern“.
Kirche ist nicht nur  Wort sondern auch Sakrament. Zum reden und hören kommt noch die leibhaftige Begegnung hinzu. Das schmecken, fühlen und berühren, das tief Irdische mit dem Symbol der Schlange. Theaterparty also das letzte Mal -
Heilige Kommunion im Jugendzentrum. Die altgläubigen Römer mögen mir die lateinischen Worte verzeihen, aber der Herr des Abendmahles ist ja nicht begrenzt auf alte Kirchenmauern. Und der Geist weht wann und wo immer er will. Er integriert Menschen aus allen Völkern und Kulturen in die Gemeinschaft des Glaubens. Wo der heilige Geist weht, da ist auch die Gemeinschaft, die Kommunion, eine Heilige Kommunion..
Wenn es sich  ergibt, dass die ordentlich berufene Presbyterin an der Theke das alte priesterliche Amt wahrnimmt, dann  fragt keiner mehr nach der Konfession, weil man sich hier doch ganz selbstverständlich zueinander bekennt, weil hier neues Bekenntnis entsteht.
Nachts um halb eins kommt zum Friedensgruß auf der großen Freiheit dann auch noch der Herr Jesus selber vorbei mit Maria Magdalena an der Hand. Aber das bleibt ein Geheimnis des Glaubens, denn die beiden  kommen ganz dezent, wollen niemanden verschrecken, niemanden verärgern, und niemanden in Verlegenheit bringen. Schon gar nicht die in solchen evangelischen Fällen ja immer noch von päpstlicher Exkommunikation bedrohten römischen Katholiken. Die sollen in aller Freiheit und reinen Gewissens behaupten können: „Wir haben nur ein bisschen Spaß gehabt und es war ein guter Geist da.“ So  liebt Gott die Welt.
Auch über andere Geheimnisse dieser und anderer Nächte schweige ich dezent, denn wo der Engel Gabriel mit einem Ave Maria auftaucht oder der altgriechische Götterbote Hermes, da geschieht allemal eine Übersetzung des Geistlichen ins Fleischliche. Neues Leben mitten im Tod. Empfänglichkeit, Offenheit für die Zukunft.  Neugeburt. Die anfängliche Verwirrung der Jungfrau im Lukasevangelium weicht erstarktem Lebensmut: „Fürchte dich nicht, du hast Gnade bei Gott gefunden“, sagt der Engel Gabriel damals in Weihnachtsgeschichte des Lukas vor 2000 Jahren. So ähnlich spricht er als Spezialengel für Hermeneutik, für Übersetzungen von einer Welt in die andere  wohl auch heute noch.
Wer weder mit Engeln noch mit antiken Göttern was anzufangen weiß, kann sich aber auch auf ein philosophisches Nachtgespräch einlassen, wie es Johannes 3 berichtet.
Entscheidend ist was rauskommt, dass die Sache Hand und Fuß hat und mit Liebe gemacht ist.
Ein von Liebe erfülltes Leben.
So hat Gott die Welt geliebt
Gott hat die Welt geliebt, ganz und gar, mit Haut und Haaren, mit Wasser und Geist.
Weihnachtsgeschichten sind Liebesgeschichten. Sie erzählen von himmlisch-irdischen Begegnungen. Mit allem Schmerz des Vergänglichen, aber mehr noch der Lust und der Freude an dieser einmaligen Welt. Das Leben ist  ein wunderbares Geschenk. Und alles was du zu tun brauchst ist, es einfach annehmen, glauben dass es für dich ist, glauben dass sich dir der Himmel schenkt, und dann das alles  genießen.  
Gott richtet diese Welt nicht. Er verurteilt dich nicht. Du kannst in aller Freiheit leben  und du kannst danach getrost deinen Weg gehen, wohin immer er dich auch führt.
Mich führte er für den nächsten Tag zum Gemeindehaus, um mit anderen die Bühne zu räumen. Jene Bretter, die die Welt bedeuten. Ich fahre sie zur Kirche. Hier werden sie aufgestapelt. Verwandelt zum Seitenaltar, Ort des Gebetes, Ort eine Last abzulegen am Kreuz, Ort für die Trauernden bei der Beerdigung, Ort für das Heilige Abendmahl zur Konfirmation. Ein Altar aus den Brettern des Weltbühnchens.
Für heute Abend haben wir ihn entfaltet zur Bühne für das große heilige Spiel zur Geburt Jesu Christi, und morgen ist es wieder ein Altar. Gut, dass unsere Küsterin zaubern kann. Mit schwarzen Tüchern, Kerzen und Blumen wird das, wo alle Welt darauf herumgelaufen ist zum Allerheiligsten.
Die Kinder waren schon da, an diesem Sonntagmorgen, dem 13. November, für Krippenspiel und Engelschor, und unsere Jugend, um diese Kinder auszubilden im Heiligen Theater. Das Stück ist geschrieben, ich übergebe es in ihre Hände. Noch müssen ein paar Rollen besetzt werden, aber sie werden sich finden. Über die Schule, über die Konfirmanden, oder einfach von Freund zu Freund.
Fast hätte ich es vergessen: der kleine Schluss-Segen für diese wunderbare Jugend. Noch einmal die Hände zusammen legen; und dann „Friede sei mit euch.“
Frieden für diese Welt. Den Abendgottesdienst zum Volkstrauertag gestalten einige Konfirmanden mit. Sie lesen die Erinnerungen an den Krieg, die Zerstörung der jüdischen Gemeinde in Wachenbuchen. Sie entzünden die Kerzen am Holzkreuz und tragen das Kreuz hinaus vor das Tor, aus der heimeligen Kirche in die Unheimlichkeit der Welt. Dann geht die Gemeinde auseinander. Es waren nicht viele, aber für die Wenigen war es wichtig. Am wichtigsten vielleicht für die Konfirmanden selbst. „Wir haben diese Geschichten nicht gewusst“, erzählen jene, die dabei waren. „Sollen wir das Kreuz als Erinnerungszeichen hier draußen stehen lassen?“ „Ja“, sage ich und sie gehen.
Wind und Nieselregen löschen die Kerzen, bis auf zwei. Aber deren Flamme geht bis an das Holz. Ich lösche sie, damit das Kreuz nicht abbrennt und trage die beiden Balken wieder zurück in die Kirche. Mein Kreuz.
Und plötzlich ist er da: Der Schmerz. Ein höllischer Schmerz
Ein anschließendes gutes Essen beim Hussein und  eine Flasche exzellenten italienischer Weins betäuben ihn für den Anfang.



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