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Herodes
                                     
Er blickte auf den weisen Marmor, und er sah das Licht, das sich in dem Stein spiegelte. Von links oben schien es in den Stein zu strömen. Zarte Linien durchzogen ihn, die nach unten hin kräftiger wurden. Fast schien es, als wolle der Stein zerbröseln. Die Schläge, die ihn getroffen hatten, hinterließen ihre Spuren. Wie lange würde er die Last noch tragen, die auf ihm ruhte.
    Das war alles, was er der Nachwelt hinterließ: Viel weißen Marmor. Kein Standbild hatte er je anfertigen lassen. Keine Münze zeigte seinen Kopf. Wozu auch? Die Münzen würden sie einschmelzen, die Statuen vom Sockel holen. Was alleine vom ihm bleiben würde, waren die riesigen Quader des Tempels, den er bauen ließ.
    Doch was ihn wirklich bedrückte war, daß auch keiner seiner Söhne seinem Angesicht glich. Keiner, der die Größe des Vaters hatte. Keiner, dem er trauen konnte. Drei Absaloms  hatten ihm seine Frauen geboren und keinen Salomo. Wenn David um einen Sohn trauerte, der seinen eigenen Vater erschlagen wollte, wie sehr trauerte dann er um seine drei Söhne. Und war er nicht mehr als David? War sein Reich denn kleiner? Nein, das war es nicht. Hatte das Land seit Salomos Zeiten je eine solche Blüte erlebt? Hatte je ein König mehr Städte gebaut? Mit mehr Burgen das Land gesichert? Das Volk genoss die Früchte des Friedens. Wann hatte es je dreißig Jahre Frieden in diesem Land gegeben?
    Und doch: den prächtigen Marmor durchzogen tiefe Risse, als wolle er in Stücke springen. "Warum bin ich am falschen Ort geboren? Warum in Idumäa, und nicht im Palast von Jerusalem oder in Bethlehem, der Stadt des Königs David?",
          
    Ein Diener trat ein: "Da sind zwei Herren aus dem Osten, die fragen nach dem neugeborenen König der Juden". Herodes erschrak. "Sie haben ein Zeichen am Himmel gesehen und sind nach Jerusalem gekommen, um den neuen Herrscher zu suchen".
    Herodes hatte sich im Laufe der Jahre ein tiefes Mißtrauen zugelegt, und allein das hatte ihn alt werden lassen. Sein erster Gedanke war: Welche Intrige wird hier gerade gesponnen? Ein neugeborener König? Er dachte an Kundschafter der Parther. Er vermutet eine Falle des Priesteradels. "Was wißt ihr noch?", fragte er den Diener. "Nun  -  wir haben natürlich sofort unsere Spitzel auf die Herren angesetzt. Die Geschichte ist einigermaßen verworren, und ich muß sagen, wir werden nicht recht schlau daraus. Der eine stammt angeblich aus Indien, der andere kommt aus Arabien. Sie sagen, sie seien Magier, Weise, aber es wird auch gemunkelt, sie seien in Wahrheit Könige. Jedenfalls haben sie unabhängig voneinander eine merkwürdige Himmelserscheinung beobachtet, die sich nur so deuten ließ, als sei der König geboren, von dem die uralten Verheißungen ihrer Völker berichteten. Der Fürst, welcher der Welt Frieden bringt und die Menschen vereint. Der, dessen Reich ewig ist, mit dem eine neue Zeit beginnt.
    Die Spur führte sie ins Land der Juden. Nur hier wissen sie jetzt nicht mehr weiter, und wir ehrlich gesagt auch nicht. Ihr Auftreten hat inzwischen auch schon eine gewisse Unruhe im Volk bewirkt. Da im Palast der Hasmonäer auch vor wenigen Wochen ein Knabe geboren wurde, ist zu befürchten, daß sich die aufkommenden Hoffnungen recht bald auf diesen hasmonäischen Prinzen konzentrieren werden, mit all den Unwägbarkeiten, die das bei der gegenwärtigen politischen Lage mit sich bringt."
    "Die beiden Herren müssen auf der Stelle verschwinden!" befahl Herodes. "Sollen wir das heute Nacht dezent besorgen?", fragte der Diener und deutete auf seinen Dolch. "Nein", befahl Herodes, "nicht hier in Jerusalem. Das könnte sonst diplomatische Verwicklungen  ergeben, und es würde vom Volk wohl auch noch als Bestätigung der Botschaft dieser Herren verstanden. Ich werde mich selber darum kümmern." Herodes ging auf das Dach seines Palastes und schaute in den Sternenhimmel. Dann hatte er eine Idee.
              
  Er rief den Diener und ordnete an: "Bringt mir die Gewänder aus Nabatäa, einen Dolch und zwei Pfund Gold und dann ruft den Kommandanten." Der Diener brachte die Sachen und der Kommandant kam. Er befahl ihm, sofort nach Bethlehem zu reiten und dort unauffällig eine Liste aller im letzten Jahr geborenen Kinder zu erstellen, mit Informationen über die Eltern, Herkunft und Geschlecht. Sodann solle er sich unauffällig als Hirte verkleiden und am Stadttor bereit halten.
          
  Der Kommandant ging. Herodes färbte sich das Haar und schlüpfte in die Kleider. Draußen stand ein Kamel bereit, das erst heute morgen mit einer Karawane aus Ägypten gekommen war. Er bestieg es und ritt damit den kurzen Weg zur Herberge dieser beiden mysteriösen Herren. Den Dolch verbarg er sorgfältig. Dann ging er in das Haus, um ihnen zu begegnen. "Melchior ist mein Name", so stellte er sich vor, "ich komme gerade vom Palast des König Herodes, wo man mir sagte, daß ich hier zwei weitere Herren treffen würde, die das gleiche Ziel verfolgen wie ich". "Haben sie auch seinen Stern gesehen?" Die beiden Magier waren erfreut und verwundert zugleich, offensichtlich noch einem dritten Sterndeuter, oder was immer dieser Mann war, zu begegnen. Sie hätten sich wohl auch noch etwas Zeit gelassen, diesen Mann aus dem Süden kennenzulernen, wenn er nicht darauf bestanden hätte, sofort nach Bethlehem aufzubrechen. "Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei," zitierte Herodes den Propheten Micha. "Der, den wir suchen, muß in Bethlehem geboren sein. Alle heiligen Schriften des Volkes der Juden weisen darauf hin", sprach er zu den Weisen aus dem Morgenland.  Dann erzählte er ihnen, wie er bei Herodes gewesen sei, und alle Schrifgelehrten gekommen seien, um ihn nach Bethlehem zu schicken.
          
    Die Kamele wurden sofort gesattelt. Zu dritt machen sie sich auf den Weg in die Davidsstadt. Blutrot versank die Sonne am Horizont als sie in der Ferne die Mauern der Stadt sahen. Beim Erreichen des Stadttores war es bereits dunkel, doch ein sternenklarer Himmel wölbte sich über das Land.
    Ein paar Hirten begegneten ihnen. In einem erkannte Herodes seinen Kommandanten. Während die anderen beiden bereits voran ritten, um in Bethlehem nach dem neugeborenen König zu fragen, konnte Herodes die Liste entgegennehmen und im Schein der Öllampe studieren. Sein Blick blieb auf einem Namen hängen. David Benjosua, geboren vor drei Monaten. Wohlhabende Bethlehemer Familie und tatsächlich ein Nachfahre aus dem Stamm Isai. Angst überkam ihn. Ob tatsächlich etwas dran war an der Geschichte mit dem Stern? Für einen Moment fing er an, die Sache selbst zu glauben. Doch er war schließlich ein aufgeklärter Politiker, der die religiöse Spekulation lieber anderen überließ. Für ihn zählte nur, was die Sache realpolitisch bewirken würde, und da war ein echter Davide aus Bethlehem genauso gefährlich wie ein Hasmonäer aus Jerusalem. Beide zogen Hoffnungen auf sich, die nur zu schnell in Unruhen, Aufständen, Mord und Totschlag enden konnten.
              
  Dann kamen seine Augen am Ende der Liste an. Kind unbekannten Namens, heute erst geboren. Eltern nur zufällig in Bethlehem. Geburtsort: Ein Stall vor dem östlichen Tor.
    Während er noch las kam eine Gruppe Hirten und berichtete dem Kommandanten: "Wir haben die Informationen, wir waren eben gerade in dem Stall. Es ist ein Junge mit Namen Jesus. Die Eltern stammen aus Nazaret. Arme Leute. Sie haben nichts als eine Futterkrippe, wo sie das Kind hinein gelegt haben.".
    "Euch schickt der Himmel", sprach Herodes, der alles mitgehört hatte. "Das ist genau das Kind, das ich brauche. Geht schnell, sammelt Holz und entzündet hinter dem Stall ein großes Feuer."
    Die Hirten verschwanden, und Herodes ritt in die Stadt zu den anderen beiden. Die waren nicht untätig gewesen, und er fand sie vor dem Haus von Ben Josua. "Kommt, ich habe ihn gefunden", rief er ihnen zu, "seht das Himmelszeichen!"
    Ein heller Schein ging vor den  Mauern auf. Als sie aus dem Tor herauskamen, strahlte der Stall im Lichte eines funkenstiebenden Feuers. "Ein Stall?", sprach Kaspar, "seit wann werden Kinder im Stall geboren?"  "Komm und seht doch!" entgegnete Melchior-Herodes. Jetzt kam alles darauf an, daß die beiden anderen mitgingen -  und sie kamen mit. Balthasar öffnete vorsichtig die Tür und nun war die Verwunderung auf beiden Seiten. Da lag das Kind in der Krippe, und eine Öllampe leuchtete sein Gesicht aus. Durch die Ritzen des Stalles flackerte der Feuerschein und tauchte alles in ein geheimnisvolles Licht. Maria und Josef verstanden die Welt nicht mehr. Nicht nur, daß da eine Schar Hirten gewesen war, die sich so für das Kind interessierten als wäre es ein Weltwunder. Nun kamen auch noch drei Könige. Sie gingen zum Stall herein. Sie fielen vor dem Kind auf die Kniee und beteten es an.  Herodes fiel auch vor ihm nieder. Ein unbeschreibliches Glück durchströmte ihn in diesem Augenblick. Nein, er würde den Dolch nicht brauchen. Von diesem Kind war nichts zu befürchten. Dieses Kind bedeutete Frieden. Diesem Sohn konnte er vertrauen. Dem alten König, dem eiskalten Politiker war's auf einmal ganz anders um's Herz. Als das Kind die Augen öffnete,  bezwang es ihn  mit himmlischer Macht. So blickten sie sich an: Der König Herodes - inkognito  und Gott selbst - inkognito. Weltliche Macht und himmlische Macht begegneten sich über Kreuz. Es war ihm als läge auch seine Geschichte dort in der Krippe. Dieses abenteuerliche Leben von der Geburt in Idumäa bis zu dieser Stunde:  70 lange Jahre. Die Bilder flossen vorüber. Petra, wo er seine Jugend verbrachte. Sein Herrschaftsantritt in Galiläa. Dann in Jerusalem vom Hohen Rat zum Tode verurteilt und nur mit Not nach Damaskus entkommen. Erneut an die Macht gelangt. Von den Parthern eingeschlossen in Jerusalem. Die abenteuerliche Flucht nach Massada, alles verloren, arm und mittellos. Im Winter über die stürmische See nach Rom und mit viel Diplomatie und des Kaisers Hilfe auf dem Höhepunkt der Macht. Die hatte er fest in der Hand gehalten und dabei auch seinen eigenen Sohn nicht verschont. Herodes der Große - Herodes der Kindermörder. Er spürte die Risse, die durch den Stein gingen. Und doch heilten die Wunden in diesem Augenblick; jene Wunden die man ihm zugefügt und jene Wunden, die er anderen geschlagen hatte. Eine tiefe Freude erfüllte ihn. Niemand kannte ihn hier in diesem Stall, nur das Kind erkannte ihn und lachte ihn an.
 Draußen prasselte das Feuer als währen es Himmelsflammen, und an den gegenüberliegen Wänden des Stalles tanzten die Cherubim. Heilige Nacht!
          
    Die anderen beiden erhoben sich und waren ziemlich verlegen wegen der Geschenke, die sie mitgebracht hatten: Weihrauch und Myrre - irgendwie passte das nicht ganz. Aber sie hatten nichts anderes dabei. Herodes aber öffnete seinen Beutel und gab Josef das Gold, das er mitgenommen hatte. Sie würden es brauchen, bei dem was ihnen bevorstand.
    Während sie noch das Kind bewunderten, schlief Herodes glückselig auf einem Heuhaufen ein. Als er aufwachte war die Nacht schon weit vorgedrungen, der Tag nicht mehr fern. Es wurde Zeit, den letzten Teil seines Planes zu verwirklichen. Die beiden anderen schliefen fest. Er weckte sie und erzählte von einem Traum. "Ich habe geträumt, daß Herodes dem Kind nach dem Leben trachtet. Es darf daher nicht bekannt werden, daß dieses Kind der Messias, der König aller Könige ist. Laßt uns aufbrechen und das Land verlassen ehe der Morgen graut."
              
Aber auch für das Kind war es besser, jetzt von der Bühne zu verschwinden. Herodes war mißtrauisch. Es war nicht ganz auszuschließen, daß doch irgendjemand etwas von dem nächtlichen Besuch im Stall mitbekommen hatte. Sicher ist sicher. "Zieht dorthin", sagte er zu Josef und gab ihm eine Adresse in Ägypten, "denn Herodes trachtet dem Kind nach dem Leben". Melchior-Herodes konnte sich drauf verlassen, daß sie gehen würden. Dem großen König Herodes traute man schließlich alles Böse zu, und das war jetzt auch gut so.
    Voller Befriedigung ging er. Die beiden anderen Weisen gingen ebenfalls und die Spuren der Geschichte verloren sich für viele Jahre.
  Herodes starb bald darauf in Jericho. Er hatte sein Heil gefunden. Das Kind aber nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
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